Wenn wir hier in São Paulo tanzen gehen wollen dann gibt es nicht „ein bisschen“ um am naechsten Tag nicht ganz tot zu sein- es gibt nur: durchmachen!
Los gehts mit zwei Stunden Bus und Metro fahren- aus der Peripherie der Nordzone ins Zentrum zu den Hochhaeusern, Lichtern und Bars. Bibbernd bei 15 Grad und gefuehlten 5 Grad trinken wir mit brasilianischen Freunden eisgekuehltes Bier- allein die Vorstellung von ungekuehltem Bier laesst Brasilianer vor Abscheu erblassen. Das Bier das, weil im gefrorenem Block, nur schlueckchenweise aus der Dose kommt ist das einzig wahre… was bei der normalerweise herrschenden Hitze auch Sinn macht.
Heute abend versuche ich mich weiter zu „brasilianisieren“- zusaetzlich zu dem kalten Bier, der Neun-Uhr-Telenovela usw. … Eine ganze Weile hoere ich meinen brasilianischen Freunden zu: ‚Sie‘ ist von der Sorte brasilianischer Frau, die schwindelerregend schnell und gross mit neonpinken Fingernaegeln gestikulierend erzaehlt wenn sie es mit einer groesseren Runde zu tun hat, ‚Er‘ ist das maennliche Gegenstueck. Wie tritt man nun mit norddeutscher Gemaechlichkeit in ein solches Gespraech ein?
Ganz einfach: Moeglichst zielsicher greift man eine der gestikulierenden Haende aus der Luft, fuchtelt selbst ausreichend mit der anderen und beginnt schnell, pausenlos und ja nicht zu leise seinen Senf abzugeben. Faellt einem jemand ins Wort darf man auf keinen Fall aufhoeren Geraeusche von sich zu geben um nicht abgeloest zu werden und stetig mit „oh, oh, oh“ begleiten. Zur Not kann man durchaus im Eifer des Gefechts ein zischendes „Psss“ zu den unruhigen Seiten zu werfen.
Viel schwieriger als bei froehlichen Zusammenkuenften vieler Brasilianer zu Wort zu kommen ist aber was mich beim Tanzen erwartete. Nach reichlicher Beobachtung meines nicht wackelnden Hinterteils (und dem Vergleich mit Reinhards froehlich kreisenden Wackelpo) nahm sich meine schnellsprechende brasilianische Freundin der Sache an. Ohne jeglichen Mangel an Selbstbewusstsein bringt sie mir „Rebolation“ = „Shake your Ass“ oder „Popowackeln“ bei. Dazu stellt sie sich- erklaerend, sie spiele jetzt den Mann- hinter mich, presst sich an mich, geht in die Knie und schwingt die Hueften. (Das alles obwohl die Band das Lied gerade zu ende gespielt hat, das Publikum aufhoert sich zu bewegen und stattdessen in der Gegend herumschaut…)
Ich bereue zutiefst in Deutschland hauptsaechlich zu Elektro getanzt zu haben, wo ja meist jeder fuer sich alleine zappelt. „Ein bisschen Brasilianerin muss ich dir doch beibringen“ quiekt sie froehlich und zeigt mir nun besagten Tanz von vorne – mit ineinandergepressten Beinen, Hueftschwung, der richtigen Haltung der Haende- grazioes abgespreizt- und dem verfuehrerischen Blick, der in meinem purpurnen Gesicht wohl ertwas albern wirkt.
Als von der Buehne zu mir das Wort „Rebolation“ herueberweht (was nichts Gutes heisst, da wir bei einem Blues-konzert sind, was selbst in Brasilien nicht der richtige Musikstil fuer diese Art von Tanz ist) fliehe ich panisch und bitte instaendig mein deutsches Kaltblut doch bitte kalt zu lassen. Naja, immerhin beharrten sie dass ich Talent haette…
Zusammen mit denen, die die „Reise“ zur Arbeit in Angriff nehmen pilgern wir durch das schlafende Boersenviertel zum Bus. In jedem Hauseingang der Wolkenkratzer liegen mehrere Obdachlose auf und in Pappkartons, die Strasse ist voll von ihnen, mir stockt der Atem. Ein Holzpavillon in der Mitte des Platzes ist gefuellt von frierenden Schlafenden, es gibt nicht einen freien Centimeter mehr auf den begehrten Holzbrettern.
Die Stadt erwacht und in zwei Stunden werden wir zu Hause ankommen.